Donnerstag, 17. Juni 2004
Die blaue Blume
Ich suche die blaue Blume,
Ich suche und finde sie nie,
Mir träumt, das in der Blume
Mein gutes Glück mir blüh.

Ich wandre mit meiner Harfe
Durch Länder, Städt und Au'n,
Ob nirgends in der Runde
Die blaue Blume zu schaun.

Ich wandre schon seit lange,
Hab lang gehofft, vertraut,
Doch ach, noch nirgends hab ich
Die blaue Blume geschaut.

Joseph von Eichendorff

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Montag, 14. Juni 2004
Nichts ist selbstverständlich
Das Selbstverständliche versteht sich nicht von selbst.
Gehen, stehen, lieben, in Bewegung sein und ruhen,
Dach über dem Kopf, Brot und Wein auf dem Tisch,
Gefährte auf dem Weg. Wasser tränkt dich, Luft
lässt dich atmen, Licht umströmt dich.
Über dir der Himmel, unter dir die Erde,
neben dir der Baum, vor dir der Mensch,
in dir das Leben. Engel begleiten deinen Weg,
Sterne zeigen dir das Ziel, Farben malen Schönheit
in dein Leben. Nichts kannst du machen, alles ist
Geschenk und Gnade, alles zugesprochener Lebensraum.
Empfangender bist du auf deinem Weg.

( Benedikt Werner Traut )

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Für viele
Wie viel Schönheit ist auf Erden
Unscheinbar verstreut;
Möcht ich immer mehr des inne werden;
Wie viel Schönheit, die den Taglärm scheut,
In bescheidnen alt und jungen Herzen!
Ist es auch ein Duft von Blumen nur,
Macht es holder doch der Erde Flur
Wie ein Lächeln unter vielen Schmerzen.
(Chr. Morgenstern)

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Sonntag, 13. Juni 2004
Der Bücherfreund
Ob ich Biblio- was bin?
Phile? "Freund von Büchern" meinen Sie?
Na, und ob ich das bin!
Ha! und wie!
Mir sind Bücher, was den anderen Leuten
Weiber, Tanz, Gesellschaft, Kartenspiel,
Turnsport, Wein und weiß ich was, bedeuten.
Meine Bücher --- wie beliebt? Wieviel?
Was, zum Henker, kümmert mich die Zahl.
Bitte, doch mich auszureden lassen.
Jedenfalls: viel mehr, als mein Regal
Halb imstande ist zu fassen.
Unterhaltung? Ja, bei Gott, das geben
Sie mir reichlich. Morgens zwölfmal nur
Nüchtern zwanzig Brockhausbände heben ---
Hei ! das gibt den Muskeln die Latur.
Oh, ich musste meine Bücherei,
Wenn ich je verreiste, stets vermissen.
Ob ein Stuhl zu hoch, zu niedrig sei,
Sechzig Bücher sind wie sechzig Kissen.
Ja natürlich auch vom künstlerischen
Standpunkt. Denn ich weiß die Rücken
So nach Gold und Lederton zu mischen,
Dass sie wie ein Bild die Stube schmücken.
Äußerlich? Mein Bester, Sie vergessen
Meine ungeheure Leidenschaft,
Pflanzen fürs Herbarium zu pressen.
Bücher lasten, Bücher haben Kraft.
Junger Freund, Sie sind recht unerfahren,
Und Sie fragen etwas reichlich frei.
Auch bei andern Menschen als Barbaren
Gehen schließlich Bücher mal entzwei.
Wie ? - ich jemals auch in Büchern lese??
Oh, sie unerhörter Ese---
Nein, pardon! - Doch positus, ich säße
Auf dem Lokus und Sie harrten
Draußen meiner Rückkehr, ach dann nur
Ja nicht länger auf mich warten.
Denn der Lokus ist bei mir ein Garten,
Den man abseits ohne Zeit und Uhr
Düngt und erntet dann Literatur.
Bücher - Nein, ich bitte Sie inständig:
Nicht mehr fragen! Lass dich doch belehren!
Bücher, auch wenn sie nicht eigenhändig
Handsigniert sind, soll man hochverehren.
Bücher werden, wenn man will, lebendig.
Über Bücher kann man ganz befehlen.
Und wer Bücher kauft, der kauft sich Seelen,
Und die Seelen können sich nicht wehren.
(Joachim Ringelnatz)

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Samstag, 12. Juni 2004
Nach dem Gewitter
Der Blitz hat mich getroffen.
Mein stählerner, linker Manschettenknopf
Ist weggeschmolzen, und in meinem Kopf
Summt es, als wäre ich besoffen.

Der Doktor Berninger äußerte sich
Darüber sehr ungezogen:
Das mit dem Summen wär` typisch für mich,
Das mit dem Blitz wär` erlogen.

Joachim Ringelnatz

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Bumerang
War einmal ein Bumerang;
War ein weniges zu lang.
Bumerang flog ein Stück,
Aber kam nicht mehr zurück
Publikum -noch stundenlang-
Wartete auf Bumerang.

von Joachim Ringelnatz

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Arm Kräutchen
Joachim Ringelnatz (1883-1934)


Ein Sauerampfer auf dem Damm
Stand zwischen Bahngeleisen,
Machte vor jedem D-Zug stramm,
Sah viele Menschen reisen.

Und stand verstaubt und schluckte Qualm
Schwindsüchtig und verloren,
Ein armes Kraut, ein schwacher Halm,
Mit Augen, Herz und Ohren.

Sah Züge schwinden, Züge nahn.
Der arme Sauerampfer
Sah Eisenbahn um Eisenbahn,
Sah niemals einen Dampfer.

Joachim Ringelnatz

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Im Park
Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum
still und verklärt wie ein Traum.
Das war des Nachts elf Uhr zwei,
Und dann kam ich um vier
morgens wieder vorbei,
Und da träumte noch immer das Tier.
Nun schlich ich mich leise ich atmete kaum
Gegen den Wind an den Baum,
Und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips.
Und da war es aus Gips.

Joachim Ringelnatz

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Donnerstag, 10. Juni 2004
Nur eine Stunde
Nur eine Stunde von Menschen fern,
Nur eine einzige Stunde!
Statt der tönenden Worte des Waldes Schweigen,
Statt des wirbelnden Tanzes der Elfen Reigen,
Statt der leuchtenden Kerzen den Abendstern,
Nur eine Stunde von Menschen fern!

Nur eine Stunde im grünen Wald,
Nur eine einzige Stunde!
Auf dem schwellenden Rasen umhaucht von Düften,
Gekühlt von den reinen balsamischen Lüften,
Wo von ferne leise das Echo schallt,
Nur eine Stunde im grünen Wald!

Nur eine Stunde im grünen Wald,
Nur eine einzige Stunde!
Wo die Halme und Blumen sich flüsternd neigen,
Wo die Vögel sich wiegen auf schwankenden Zweigen,
Wo die Quelle rauscht aus dem Felsenspalt,
Nur eine Stunde im grünen Wald.


von Auguste Kurs (1815-1892)

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Montag, 7. Juni 2004
Ruhe finden
Butterblumen wiegen im Sommerwind
lustig umher fliegt ein Schmetterling
Sonne bestrahlt silbern die Bäume
der Anblick bringt mich ans Tor der Träume

Meine Gedanken lasse ich schweifen
möcht' nach des Himmels Seidenmatt greifen
auf Wolken tanzen in die Leichtigkeit
wenn mir der Alltag zu anstrengend scheint

Ich lausche dem Wispern der Natur
möchte für einige Minuten nur
gleiten ins Stillezauberland
innere Turbulenzen werden verbannt

In einen Tagtraumkokon spinne ich mich ein
sammle vom herrlichen Sonnenschein
Farben der Sommerblüten sind ein Hit
zur Seelenruhe nehm' ich sie mit

träumen, mir keine Gedanken machen
bringt mein Inneres wieder zum Lachen
bald habe ich wieder frischen Mut
und sage, so wie es ist, so ist es gut.
Karin Ernst

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