Sonntag, 26. September 2004
Die ganze Natur ist eine Melodie
Die ganze Natur ist eine Melodie
in der eine tiefe Harmonie verborgen ist.
Die Natur schafft ewig neue Gestalten;
Was da ist, war noch nie,
was da war - kommt nicht wieder -
alles ist neu und dennoch immer das Alte.

(J.W. von Goethe)

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Freitag, 24. September 2004
Das Wasser
Das Wasser

Vom Himmel fällt der Regen,
und macht die Erde naß,
die Steine auf den Wegen,
die Blumen und das Gras.

Die Sonne macht die Runde
in altgewohntem Lauf
und saugt mit ihrem Munde
das Wasser wieder auf.

Das Wasser steigt zum Himmel
und wallt dort hin und her,
da gibt es ein Gewimmel
von Wolken grau und schwer.

Die Wolken werden nasser
und brechen auseinander
und wieder fällt das Wasser
als Regen auf das Land.

Der Regen fällt ins Freie
und wieder saugt das Licht.
Die Wolke wächst aufs neue
bis daß sie wieder bricht.

So geht des Wassers Weise:
es fällt, es steigt, es sinkt
in ewig gleichem Kreise
und alles alles trinkt.

James Krüss

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Sonntag, 19. September 2004
Am Waldessaume
Am Waldessaume träumt die Föhre,
Am Himmel weiße Wölkchen nur,
Es ist so still, daß ich sie höre,
Die tiefe Stille der Natur.

Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen,
Die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach,
Und doch es klingt als ström' ein Regen
Leis tönend auf das Blätterdach.

Theodor Fontane

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Samstag, 18. September 2004
Die Stadt
Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohn' Unterlass;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras.

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.

Theodor Storm

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Die Schaukel
Auf meiner Schaukel in die Höh,
was kann es Schöneres geben!
So hoch, so weit! Die ganze Chaussee
und alle Häuser schweben.

Weit über die Gärten hoch, juchhee,
ich lasse mich fliegen, fliegen;
und alles sieht man, Wald und See,
ganz anders stehn und liegen.

Hoch in die Höh! Wo ist mein Zeh?
Im Himmel! Ich glaube, ich falle!
Das tut so tief, so süß dann weh,
und die Bäume verbeugen sich alle.

Und immer wieder in die Höh,
und der Himmel kommt immer näher;
und immer süßer tut es weh -
der Himmel wird immer höher.


Richard und Paula Dehmel
Aus: Zauberwort

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Freitag, 17. September 2004
POESIE
Poesie ist wie ein Duft,
der sich verflüchtigt
und dabei in unserer Seele,
die Essenz
der Schönheit zurücklässt.
(Jean Paul)

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Das Segel
Weiß glänzt auf blauer Wasserwüste
ein Segel fern am Himmelsrand.
Was sucht es an der fremden Küste?
Was ließ es an der Heimat Strand?

Schrill pfeift der Wind, die Wellen schäumen,
und knarrend biegt sich Mast und Spriet.
Es jagt nicht nach des Glückes Träumen,
nicht Glück ist es, wovor es flieht.

Hoch über ihm der Sonne Gluten,
und unter ihm rauscht blau das Meer,
doch trotzig sucht es Sturm und Fluten,
als ob in Stürmen Ruhe wär'.


Michail Lermontow 1832

Übersetzt von Maximilian Schick

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Donnerstag, 16. September 2004
An den Mond
Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;

Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
über mein Geschick.

Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh- und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud' und Schmerz
In der Einsamkeit.

Fließe, fließe, lieber Fluß!
Nimmer werd' ich froh;
So verrauschte Scherz und Kuß
Und die Treue so.

Ich besaß es doch einmal,
was so köstlich ist!
Daß man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergißt!

Rausche, Fluß, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu!

Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.

Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,

Was, von Menschen nicht gewußt
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.

(Johann Wolfgang von Goethe)

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Montag, 13. September 2004
Geschichte der Poesie
Wie die Erde voller Schönheit blühte,
Sanftumschleiert von dem Rosenglanz
Ihrer Jugend und noch bräutlich glühte
Aus der Weihumarmung, die den Kranz
Ihrer unenthüllten Kindheit raubte,
Jeder Wintersturm die Holde mied,
O! da säuselte durch die belaubte
Myrte Zephir sanft das erste Lied.

Eva lauschte im Gebüsch daneben
Und empfand mit Jugendphantasie
Dieser Töne jugendliches Leben
Und die neugeborne Harmonie,
Süßen Trieb empfand auch Philomele
Leise nachzubilden diesen Klang;
Mühelos entströmet ihrer Kehle
Sanft der göttliche Gesang.

Himmlische Begeistrung floss hernieder
In der Huldin reingestimmte Brust,
Und ihr Mund ergoss in Freudenlieder
Und in Dankgesängen ihre Lust,
Tiere, Vögel, selbst die Palmenäste
Neigten staunender zu ihr sich hin,
Alles schwieg, es buhlten nur die Weste
Froh um ihre Schülerin.

Göttin Dichtkunst kam in Rosenblüte
Hoher Jugend eingehüllt herab
Aus dem Äther, schön wie Aphrodite,
Da ihr Ozean das Dasein gab.
Goldne Wölkchen trugen sie hernieder,
Sie umfloss der reinste Balsamduft,
Kleine Genien ertönten Lieder
In der tränenlosen Luft.

Novalis

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Montag, 6. September 2004
Blick ins Licht
Still von Baum zu Baum schaukeln
meinen Kahn die Uferwellen;
märchenblütenblau umgaukeln
meine Fahrt die Schilflibellen,
Schatten küssen den Boden der Flut.

Durch die dunkle Wölbung der Erlen
- welch ein funkelndes Verschwenden -
streut die Sonne mit goldenen Händen
silberne Perlen
in die smaragdenen Wirbel der Flut.

Durch die Flut der Strahlen schweben
bang nach oben meine Träume,
wo die Bäume
ihre krausen Häupter heben
in des Himmels ruhige Flut.

Und in leichtem, lichtem Kreise
weht ein Blatt zu meinen Füßen
weiße Taube seh ich grüßen;
fernher grüßen
meiner Seele dunkle Flut.

Richard Dehmel (1863-1920)

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