Sonntag, 25. Januar 2004
Das Mauerblümchen
Das Mauerblümchen

Im goldnen Sonnenlicht.
Ein Mauerblümchen durch die Ritzen bricht.
Es windet sich empor mit Macht.
Und wiegt die Blütenknospe sacht.
Bis plötzlich es sich sanft entfaltet.
Und eine Blüte sich gestaltet.
Die fein und zart im Lichte blinkt.
Und einem Falter schüchtern winkt.

Von weitem ist es kaum zu sehn.
Doch wenn im Wind die Knospen wehn.
Sieht man die Pracht der jungen Pflanze.
Sie lädt die Käfer oft zum Tanze.

Möge es doch nie vergehn.
Ob Sturm und Eis darüber wehn.
Ihr Abbild bleibt in meinem Herzen.
Nächstes Frühjahr blüht es ohne Schmerzen.

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Der Winter
Der Winter

Der Winter ist ein
rechter Mann.
Kernfest und auf die
Dauer;
Sein Fleisch fühlt sich
wie Eisen an.
Er scheut nicht süß
noch sauer.
Er zieht sein Hemd im
Freien an
Und läßt`s vorher nicht
wärmen.
Und spottet über Fluß
im
Und Kolik in
Gedärmen.

Aus Blumen und aus
Vogelsang
Weiß er sich nichts zu
machen.
Haßt warmen Drang
Und warmen Klang
Und alle warmen
Sachen.

Doch wenn die Füchse
bellen sehr.
Wenn`s Holz im Ofen
knittert.
Und an dem Ofen
Knecht und Herr
Die Hände reibt und
zittert.

Wenn Stein und Bein
vor Frost zerbricht
und Teich und Seen
krachen;
das klingt ihm gut, das
haßt er nicht.
dann will er sich
totlachen.

Sein Schloß von Eis
liegt ganz hinaus
beim Nordpol an dem
Strande;
doch hat er auch ein
Sommerhaus
im lieben
Schweizerlande.

Da ist er denn bald
dort bald hier,
gut Regiment zu
führen.
und wenn er durchzieht
stehn wir
und sehn ihn an und
frieren.

Matthias Claudius

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Winternacht am Fenster
Winternacht am Fenster

Draußen
träumt der Schnee
auf Altstadtdächern,
Stille. Weich.

In mir zerrt der Sturm
an jungen Mauern.
Aufruhr. Hart.

Der Schnee wird schmelzen.
Der Sturm in mir
darf sich nie legen.

(Kristiane Allert-Wybranietz)

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Samstag, 24. Januar 2004
Die Nachtigall
Die Nachtigall

Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.
Sie war doch sonst ein wildes Kind;
Nun geht sie tief in Sinnen,
Trägt in der Hand den Sommerhut
Und duldet still der Sonne Glut,
Und weiß nicht, was beginnen.
Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.
Theodor Storm (1817 - 1888)

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Die ganze Welt ist jetzt, o weh,
Winter.

Du lieber Frühling! Wohin bist du gegangen?
Noch schlägt mein Herz, was deine Vögel sangen.
Die ganze Welt war
wie ein Blumenstrauß,
längst ist das aus!
Die ganze Welt ist jetzt, o weh,
Barfüßle im Schnee.
Die schwarzen Bäume stehn und frieren,
im Ofen die Bratäpfel musizieren,
das Dach hängt voll Eis.
Und doch: bald kehrst du wieder,
ich weiß, ich weiß!
Bald kehrst du wieder,
o nur ein Weilchen,
und blaue Lieder
duften die Veilchen!
(Arno Holz)

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Blauer Schmetterling
Blauer Schmetterling

Flügelt ein kleiner blauer
Falter vom Wind geweht,
Ein perlmutterner Schauer,
Glitzert, flimmert, verweht.

So mit augenblickswinken,
So im Vorüberwehn,
Sah ich das Glück mir winken,
Glitzern, flimmern, vergehn.

(Hermann Hesse)

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Der kluge Prophet
Der kluge Prophet

Ein Fröschlein sitzt im Schilf und Rohr
und lugt zum Himmelszelt empor,

wie es dort mit dem Wetter steht.
Der Frosch ist, laut Beruf, Prophet.

Bei Regen oder Sonnenschein
ist es sehr leicht, zu prophezein,

doch ist das Wetter ungewiss,
traut selbst ein Frosch der Sache miss.

Auf alle Fälle sagt er sich:
Das Wetter ist »veränderlich«
.
Das macht nicht klüger und nicht dümmer,
der gold'ne Mittelweg stimmt immer.

Fred Edrikat

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Der Garten des Herrn Ming von James Krüss
Der Garten des Herrn Ming
Im stillen Gartenreiche
Des alten Gärtners Ming,
Da schwimmt in einem Teiche
ein Wasserrosending.
Den alten Ming in China
Entzückt sie ungemein,
Er nennt sie Catharina,
Chinesisch: Ka-Ta-Rain.
Mit einer Pluderhose
Und sehr verliebtem Sinn
Geht er zu seiner Rose
Am Rand des Teiches hin.
Er singt ein Lied und fächelt
Der Rose Kühlung zu.
Die Rose aber lächelt
Nur für den Goldfisch Wu ....

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Gartenidylle
Ferientag eines Unpolitischen
Der Postbeamte Emil Pelle
Hat eine Laubenlandparzelle,
Wo er nach Feierabend gräbt
Und auch die Urlaubszeit verlebt.
Ein Sommerläubchen mit Tapete,
Ein Stallgebäude, Blumenbeete.
Hübsch eingefaßt mit frischem Kies,
Sind Pelles Sommerparadies.
Zwar ist das Paradies recht enge
Mit fünfzehn Meter Seitenlänge;
Doch pflanzt er seinen Blumenpott
So würdig wie der liebe Gott.
Im Hintergrund der lausch'gen Laube
Kampieren Huhn, Kanin und Taube
Und liefern hochprozent'gen Mist,
Der für die Beete nutzbar ist.
Frühmorgens schweift er durchs Gelände
Und füttert seine Viehbestände.
Dann polkt er am Gemüsebeet,
Wo er Diverses ausgesät.
Dann hält er auf dem Klappgestühle
Sein Mittagsschläfchen in der Kühle.
Und nachmittags, so gegen drei,
Kommt die Kaninchenzüchterei.
Auf einem Bänkchen unter Eichen,
Die noch nicht ganz darüber reichen,
sitzt er, bis daß die Sonne sinkt,
Wobei er seinen Kaffee trinkt.
Und friedlich in der Abendröte
Beplätschert er die Blumenbeete
Und macht die Hühnerklappe zu.
Dann kommt die Feierabendruh.
Er denkt: Was kann mich noch gefährden!
Hier ist mein Himmel auf der Erden!
Ach, so ein Abend mit Musik,
Da braucht man keine Politik!
Die wirkt nur störend in den Ferien,
Wozu sind denn die Ministerien?
Die sind doch dafür angestellt,
Und noch dazu für unser Geld.
Ein jeder hat sein Glück zu zimmern.
Was soll ich mich um andre kümmern?
Und friedlich wie ein Patriarch
Beginnt Herr Pelle seinen Schnarch.
(Erich Weinert)

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Schnee ist gefallen
Der Schneemann



Steh, Schneemann, steh!
Und bist du auch von Schnee,
So bist du doch ein ganzer Mann,
Hast Kopf und Leib und Arme dran,
Und hast ein Kleid, so weiß und rein,
Kein Seidenzeug kann weißer sein:
Du stehst so stolz und fest und breit
Als wär' es für die Ewigkeit. -
Steh, Schneemann, steh! -
Wenn ich dich recht beseh':
So fehlt dir nichts auf weiter Welt
Du hungerst nicht, sorgst nicht um Geld.
Ich glaub' auch, dass dich gar nichts rührt,
Und wenn es Stein und Beine friert;
Der Frost, der andre klappern lässt,
Der macht dich erst recht hart und fest -

Steh, Schneemann, steh!
Die Sonne kommt, Juchhe!
Jetzt wirst du erst recht lustig sein! - -
Was ist denn das? Was fällt dir ein?
Du leckst und triefst ohn' Unterlass,
o Schneemann, Schneemann, was ist das?
Das schöne warme Sonnenlicht,
Der Menschen Lust erträgst du nicht?

Weh, Schneemann, weh!
Du bist doch nichts als Schnee!
Dein Kopf war dick, doch nichts darin,
Dein Leib war groß, kein Herz darin,
Und das, was andre fröhlich macht,
Hat dir, du Wicht, nur Leid gebracht.
Ich glaub', ich glaub', manch Menschenkind
Ist grade so wie du gesinnt:
Schnee, nichts als Schnee!

Robert Reinick 1805 -1852

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