Montag, 9. Februar 2004
Das Schneeglöckchen
Das Schneeglöckchen


Es war Winterzeit.
Die Luft war kalt und der Wind scharf;
aber zu Hause war es warm und gemütlich.
In seinem eigenen Häuschen
saß das Schneeglöckchen;
es schlummerte in seiner
Zwiebel unter der Erde und Schnee.
Eines Tages fiel Regen.
Die Tropfen drangen durch
die Schneedecke hinab in die Erde;
sie berührten die Blumenzwiebel und
erzählten ihr von der Lichtwelt da oben.
Bald drang auch ein Lichtstrahl ganz fein
durch den Schnee hinab zu der Zwiebel
und streichelte sie mit ihrer Wärme.
"Komm herein!" sagte die Blume.
„Das kann ich nicht", sagte der Sonnenstrahl,
„ich bin noch nicht stark genug,
um die Erde ganz aufzuschließen.
Erst zum Sommer werde ich stärker."
„Wann ist es Sommer?" fragte die Blume,
und sie wiederholte diese Frage,
sooft ein Sonnenstrahl zu ihr hinab drang.
Aber noch lag der Schnee,
und es fror Eis auf dem Wasser in jeder Nacht.
„Wie lange das dauert!" sagte ungeduldig die Blume.
„Ich muss mich strecken!
Ich muss hinaus und den Sommer
einen guten Morgen zunicken! Es wird hohe Zeit!"
Und die Blume reckte und streckte sich
drinnen gegen die dünne Schale,
die das Wasser von außen weich gemacht
und die Sonne gestreichelt hatte.
Bald spross sie unter dem Schnee hervor
mit weißgrüner Knospe auf grünem Stängel
und mit schmalen, dicken Blättern,
die gleich einem Mantel umgaben.
Der Schnee war kalt, aber vom Lichte durchstrahlt.
„Willkommen! Willkommen!"
klang jeder Strahl,
und die Blume erhob sich über
den Schnee hinaus in die Lichtwelt.
Und als die warmen Strahlen der Mittagssonne sie küssten,
da öffnete sie sich ganz, weiß
wie der Schnee und geschmückt
mit grünen Streifen.
Sie neigte ihr Haupt in Freude und Demut.
„Wunderschöne Blume!"
sangen die Sonnenstrahlen:
„Wie bist du frisch und zart"
Du bist die Erste, du bist die Einzige"
Du läutest den Frühling ein!"
Das war eine Lust!
Es war, als ob die Luft sänge und klänge,
als ob die Strahlen des Lichtes dem Schneeglöckchen
in seine Blätter und seine Stängel hineindrängten.
Aber es war noch weit bis zur Sommerzeit.
Wolken verhüllten bald wieder die Sonne,
und scharfe Winde brausten
über das arme Schneeglöckchen fort.
„Du bist zu früh gekommen!"
sagten Wind und Wetter.
„Noch führen wir das Regiment.
Du wärest besser nicht hinausgelaufen,
um Staat zu machen.
Es ist noch nicht an der Zeit!"

Aber die kleine Blume
hatte mehr Stärke in sich,
als sie selbst wusste!
Und so stand sie da in ihrer weißen Tracht
mitten im Schnee und neigte ihr Haupt,
wenn die Schneeflocken dicht
und schwer auf sie herabsanken
und die eisigen Winde
über sie dahinfuhren.
„Du brichst ab!" sagten sie
„ Du verwelkst! Du erfrierst!
Was wolltest du auch schon draußen?
Der Sonnenstrahl hat dich genarrt!"
Aber gegen Mittag kamen
einige Kinder in den Garten.
„Oh ein Schneeglöckchen!" jubelten sie.
„Da steht eins, so schön, so reizend,
das erste, das einzige!"
Und diese Worte taten der Blume so wohl;
das waren Worte wie warme Sonnenstrahlen.
Das kleine Schneeglöckchen empfand
in seiner Freude nicht einmal,
dass es gepflückt wurde. Es lag in Kinderhand,
wurde in die warme Stube gebracht,
von freundlichen Augen betrachtet
und von weichen Händen ins Wasser gestellt.
Das Blümchen fühlte sich
neu gestärkt und belebt,
als wäre es auf einmal mitten
in den Sommer hineinversetzt.

Hans Christian Andersen

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Schicksal
Schicksal
Soviel Dinge gehn im Leben
auf dich zu, noch mehr daneben.
Mensch, dein Weg ist dir bestimmt.
Nimm das Schicksal, wie es kimmt.

Jeder muß sein Päcklein tragen,
teils mit Wohl-, teils Unbehagen.
Schau nach vorn, dort gehen sie:
Hans im Glück und Pechmarie.

Etwas Sonne, sehr viel Regen,
Freude folgt den Nackenschlägen,
oder manchmal umgedreht,
wie es so im Leben geht.

Wieviel Blüten an dem Baume
werden nie zur reifen Pflaume.
Wieviel Pulver, wieviel Blei
schießt der Feind an dir vorbei.

Weine nicht um das Verpaßte.
Denke: Was du hast, das haste.
Kriegst du nicht, was du gewollt,
hat es wohl nicht sein gesollt.
(Fred Endrikat)

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Mäusegeschichten
Die Maus Kunigunde
Schaut froh in die Runde
Sie schlurft mit Gewackel
Und trägt eine Fackel
Ihr Mann dieser Stoffel
Hat neue Pantoffel
Die Kinder hinter dem Ofen
Sorgen für neue Katastrophen
Mit einem Knalle
Klickt zu die Falle
Mopsi war augenblicklich
Über seine Rettung glücklich
Lass nur den Schinken
In der Falle blinken
Die Tochter Rosinchen
Spielt Mandolinchen
Doch in dem Orchester
Singt Pinki die Schwester
Fritzi spielt Klarinette
Mausi dreht die Pirouette
Zu diesen Strophen
Kann Stoffel schwofen
Kunigunde jedoch
Kriecht schnell in das Loch

Die Maus Kunigunde
Nach nächtlicher Stunde
Muss heute Morgen
Ihre Kinder versorgen
Schon im frühen Dämmerlicht
Erfüllt sie ihre Mutterpflicht
Sie ist ein Leisetreter
Läuft manchen Kilometer
Sie läuft über die Äcker
Zum nächsten Bäcker
Sie will einmal versuchen
Den herrlich duftend’ Kuchen
Dort an ihrem Platze
Liegt eine dicke Katze
Die tut zwar sehr vertraulich
Für Kunigunde nicht erbaulich
Sie kommt ganz leicht ins Schwitzen
Und will doch lieber flitzen.
Ihr Mann dieser Stoffel
Fand eine Kartoffel
Die Kinder sind sowieso
Über jeden Krümel froh

Von Hannelore Lüdtke

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