Sonntag, 10. Oktober 2004
Des Weibes Blätterfall
Du frägst, mein Freund, wie sich wohl künden
»Das Altern« mag in Seel' und Leib,
Was leiden mag und was empfinden,
- Beginnt's zu altern erst - das Weib?

Noch eh' im Spiegel es gewahr wird,
Daß seine Jugend ihm entweicht,
Noch eh' es ihm im Herzen klar wird,
Daß sich das Alter zu ihm schleicht,

Sagt's ihm des Mannes Blick, ich glaube
Der nach ihm nimmer gierig langt,
Weil - wie die Gais am jungen Laube -
Des Mannes Blick an Jugend hangt!

Noch ist das Weib von Reiz umstrahlet,
Von Kraft und Fülle die Gestalt
Wie sich am ersten Herbsttag malet
Im Sonnenstrahl der Eichenwald;

Doch wie in grüner Blätter Prangen
Sich da und dort ein welkes zeigt,
Zum Zeichen, daß der Lenz vergangen,
Und daß zum Herbst der Sommer neigt:

So kündigt sich der Jugend Weichen
Beim Weib in leiser Spur schon an!
Ein Haar will da und dort erbleichen -
Und aus der Reihe fehlt ein Zahn, -

Und wenn auch Furchen nicht gegraben
Der Jahre Pflug in Stirn und Kinn:
Die zarten Farben, die drauf haben
Den Lenz gemalt, sie - schwinden hin.

... Doch, was im Lied' ich nicht kann sagen,
Weil keinen Reim es dafür giebt:
Das Leid ist's, das ein Herz ertragen
Muß, das zum letztenmal dann - liebt!


Sidonie Grünwald-Zerkowitz
(1852-1907)


Waren es vor zwei Jahrhunderten die gleichen Probleme?
beachtet bitte den Satz: "Von Kraft und Fülle die Gestalt"

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