Sonntag, 18. Juli 2004
Der Stieglitz
Die Sonne blitzt, ein Distelfeld
belebt die stille Mittagswelt;
im starr gezackten Blättermeer
glühn purpurlockig kreuz und quer
die Blütenköpfe.

Und durch den eisengrauen Busch,
ein bunter Vogel, hupp, hup, husch,
hüpft durch das wilde Staudenheer,
als ob es ohne Stacheln wär:
ein junger Stieglitz.

Wie wirr, wie wunderlich geschweift!
Ein leichtes Lüftchen kommt und greift
von Blütenspeer zu Blütenspeer
und wirft die Schatten hin und her;
weg ist der Stieglitz.

Nun will ich stille weiter gehn
und mir die sonnige Welt besehn,
und durch das Leben kreuz und quer,
als ob es ohne Stacheln wär;
das liebe Leben.

Richard Dehmel

... link (6 Kommentare)   ... comment


Der starke Kaffee von Eugen Roth
Ein Mensch, der viel Kaffee getrunken,
Ist nachts in keinen Schlaf gesunken.
Nun muß er zwischen Tod und Leben
Hoch überm Schlummerabgrund schweben
Und sich mit flatterflinken Nerven
Von einer Angst zur andern werfen
Und wie ein Affe auf dem schwanken
Gezweige turnen der Gedanken,
Muß über die geheimsten Wurzeln
Des vielverschlungnen Daseins purzeln
Und hat verlaufen sich alsbald
Im höllischen Gehirn-Urwald.
In einer Schlucht von tausend Dämpfen
Muß er mit Spukgestalten kämpfen,
Muß, von Gespenstern blöd geäfft,
An Weiber, Schule, Krieg, Geschäft
In tollster Überblendung denken
Und kann sich nicht ins Nichts versenken.
Der Mensch in selber Nacht beschließt,
Daß er Kaffee nie mehr genießt.
Doch ist vergessen alles Weh
Am andern Morgen - beim Kaffee.

... link (2 Kommentare)   ... comment